Nebenwirkungen

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Bibwue's avatar
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Das Alter macht einen Menschen ruhiger. Aber zum Glück kann man von diesem Prinzip auch dann profitieren, ohne erst den Omi-/Opi-State erreichen zu müssen. Granny

Müsste ich mich selbst beschreiben, stünde da mit Sicherheit irgendwo das Wort "aktiv".. Wenn auch nicht unbedingt immer in rein positiver Form, bzw. mit rein positiven Folgen.
Denke ich zurück, dann fällt mir auf, dass sich die Art des Fotografierens gravierend verändert hat. Und das in relativ kurzer Zeit. Aber es benötigte einen gewissen Break-Point, um diese Veränderung zu erzeugen. Und genau das ist mir gestern besonders bewusst geworden. Aber bevor ich mit dem Ende beginne, lasse ich doch erst einmal den Anfang vor.

Man sieht gute Fotos, spektakuläre Farben und Formen... Und so gut wie jeder der eine Kamera besitzt und zu mehr als nur zur schnöden Befriedigung eines occasionellen Knipsknipses nutzt, wird das wohl kennen. Man sieht etwas und denkt sich... "Verdammt, das will ich auch". Der erste Schritt ist das Habenwollen, der zweite dann in logischer Konsequenz das Machenwollen. Aber wie?
Wie fängt man an, wie macht man weiter? Wohin geht man, wohin schaut man.. Und wann drückt man den Auslöser? Drückt man ihn überhaupt, oder drückt lieber entfernt irgendwo auf den Knopf eines Fernauslösers? Und welcher ist gut, welcher nicht, was sind die Vorteile...?

Ich gehörte anfangs zu denjenigen, die einfach loszogen und es probierten. Bzw. machen wollten. (Ja, sicher, schlussendlich ist es fast das selbe... Aber die Einstellung ist dabei leicht anders.)
Ich war auch durchaus... Naja... Mehr oder weniger zufrieden mit den Aufnahmen, die dabei so entstanden. Sonnenuntergänge, Seen.. irgendwo... Insekten... Die Richtung war mir völlig klar.
Ich bin kein Mensch, der die Hektik in der fotografischen Arbeit mit Menschen sucht, mag oder auch nur mittelfristig gut erträgt. Architektur ist zwar toll, aber auch da wieder das Problem, dass man sich in eher hektische Umgebungen begeben muss, was mir ganz und gar nicht zusagt.
Der Blick ins Detail im Garten... Der Blick in die Ferne auf Bergen, Hügeln, an Seen oder das Mittendrinsein allgemein in der Natur sprach mich schon immer mehr an, also war die Richtung ohnehin klar.

Und doch... Wirklich zufrieden war ich nicht. Irgend etwas fehlte. Da war dieser Unterschied zwischen meinen Aufnahmen und "denen". Irgend ein Schatten im Dunkel den ich nicht zu fassen bekam.

Die ganzen fotografischen "Regeln" waren mir bekannt, deren Umsetzung nicht das Problem. Die Kamera vielleicht...? Eine Canon EOS 400D ist keine schlechte Kamera, im Gegenteil. Ich habe sie überall hin mitgenommen, sie war immer die Begleiterin bei Unwettern, bei Wanderungen in den Bergen, überall dabei. Mit Batteriegriff. An der Schulter hängend. Selbst wenn mich der Weg auf allen Vieren das Geröllfeld hinauf schickte. Es rüttelte und schüttelte sie gerne mal durch, Staub und Spritzwasser begegneten ihr mehr als den "Pass auf ist nicht Staubgeschützt!"-Rufern lieb ist, ohne auch nur einmal eine Störung zu erzeugen, die tatsächlich als Störung hätte durchgehen und nicht mit einem kurzen Wisch mit einem sauberen Tuch hätte beseitigt werden können.
Also... An der Kamera lag es nicht.
Sicher ist eine 400D schon relativ alt mit ihrem Digic2-Prozessor, ihrem maximalen ISO von 1600, dem extremen Bildrauschen wenn man versuchte die Sterne zu fotografieren. Aber dennoch. Mit dieser Kamera sind erstklassige Aufnahmen möglich. Eine gute, solide Kamera. Also nein.. Eine ausreichend gute Kamere war da, hätte reichen sollen.





Dann bestimmt an der Nachbearbeitung. Pouustprousessing...! Das grosse, unbekannte Monstrum in Form von Bildbearbeitung(ssoftware)! Oh Noes!
Tausende Schaltflächen, Menüs, Knöpfchen, Hebelchen, Schieberegler... Fremdworte, Fachbegriffe, Kurven und Punkte, Ebenen und Masken und schiessmichtot und tusdochliebernicht... Doh!
Naja... Wenn man mit 15 Jahren erstmals Photoshop sieht und damit hantiert, damals noch in der Version PS5, wenn ich mich recht erinnere, ist das sicherlich ein Argument. Aber wenn man sein halbes Leben lang den Cursor durch Adobes teilweise recht gewöhnungsbedürftige - zumindest wenn man ihre Art Programme zu strukturieren und aufzubauen noch nicht wirklich kennt - Welten geschoben hat, wird man diese Möglichkeit als reine Ursache des Problems bald zusammenschmelzen sehen.
Die nachfolgende Bildbearbeitung, RAW-Entwicklung, etc. entwickelt sich ohnehin ständig weiter, also wird sich niemand selbst ernsthaft als "Heey ich bin der der alles kann" bezeichnen wollen. Man lernt sowieso immer dazu. Aber man kann durchaus sagen, dass es keine riesige Wissenslücke gab in dem Berich... Keine massiven Hinderungsgründe, es besser zu machen als ich es tatsächlich machte. Also war auch das nicht als Hauptursache festzumachen.
Sicher knipste ich am Anfang nicht im RAW-Format. Sicher spielte ich nicht schon vor über zehn Jahren mit Luminanzmasken herum, usw. Aber... Dennoch. Was an Wissen vorhanden war, hätte reichen sollen. RAW, Masken, etc. helfen es besser zu machen, aber machen nicht das perfekte Bild.


Nun, was bleibt dann..? Bestimmt die Wahl der Orte... Die Lokeischens waren einfach debil. Bestimmt das.
Äääähm... Halt. Ich lebe in der Schweiz, bin umgeben von tollen, abwechslungsreichen Gegenden und spannenden Orten. Es ist nicht schwierig, hier einen wundervollen Ort zum Fotografieren zu finden. Es ist eher schwierig, einen Ausflug zu machen und an keinem "Ey wie geil, hier will ich knipsen"-Ort vorbeizukommen. Im Nordwesten habe ich den Jura mit seinen wundervollen Hochtälern, den stellenweise an Kanada erinnernden Nadelwäldern, den Trockensteinmäuerchen, dem Hochlandfeeling und dem massiven Schneefall im Winter, ohne gross Angst vor Lawinen haben zu müssen... Und im Südosten die Alpen. Grösser, steiler... Als hätte man das Höhenprofil einfach massiv verstärkt. Anderer Charakter, andere Pflanzen und Tiere... Andere Welt.





Und dazwischen? Weite, flache Ebenen, grosse Seen, Flüsse, Schlösser und Ruinen, Schluchten, Städte... Was immer man will.
Habe ich sie mir möglicherweise einfach falsch ausgesucht? Am falschen Ort zur richtigen Zeit, die falsche Zeit...?




Also eindeutig auch hier... Nein. Kein Grund. Ich war nicht immer an den Orten, die ich wollte. Nicht immer zu den Zeiten die ich wollte. Aber das alleine? Nein... Das ist keine Erklärung.

Man sucht sich schöne Orte, geht hin, fotografiert, geht nach Hause... Und wieder. Fotos die ganz in Ordnung sind... Aber einfach mit diesem "Das ist nicht das was du willst"-Schatten im Genick.


Also fing ich an mich intensiv einzulesen. Alles was mit Fotografie zu tun hatte und mich interessierte, las ich, schaute ich an. Veränderte das etwas? Hm... Ja, mit Sicherheit. Es bringt immer etwas, die Wege und Lösungen, Arbeitsumgebungen und Ideen anderer zu hören, lesen oder sehen. Man findet immer etwas, das einen weiterbringt. Und sei es auch nur ein einziger Satz. Und ich habe wirklich sehr, sehr viel lernen können (müssen..? :D).
Also, kann es daran gelegen haben? Nun, möglicherweise. Zum Teil. Aber nur daran? Nein. Denn tatsächlich brachte auch das nicht die Lösung meines Problems.


Die wahre Ursache ahnte ich schon länger, schob sie aber mehr oder minder unbeachtet beiseite, weil ich... Mich eben nicht damit befassen wollte, sondern mit dem Aneignen von Wissen. Das war sicherlich kein Fehler und definitiv hilfreich für mich, ganz grundsätzlich betrachtet. Aber es löste mein Problem nicht.

Da stand ich also mit ND-Filtern und Krams, einer Kamera auf einem Stativ, mit einem Fernauslöser in der Hand, bereit ein Foto eines wundervollen Moments zu schiessen... Und doch, der Schatten hing da, und verhinderte die Entstehung von dem, wofür ich diesen ganzen Zirkus überhaupt veranstaltete.

Dieses Hobby entwickelte sich zusehends zum Versuch eine simple Frage zu beantworten, und alle möglichen Erklärungen für das eigene, gefühlte Misslingen auszuschliessen. Es kam ein neues Stativ ins Haus, weil das alte wackelig war. Ich lernte und verschlang das geteilte Wissen der anderen... Sorgte für ein ruhiges Auslösen durch Fernauslöser, sorgte mit ND-Filtern für die Verschlusszeit die ich wollte...
Und... Die Ergebnisse entsprachen nicht dem, was ich wollte.




Und nach und nach entwickelte ich mich unbemerkt in eine Richtung, der ich bisher so wenig Aufmerksamkeit schenkte. Die Veränderung meiner selbst, nicht der Umgebung, des Equipents, oder sonst irgendwas.
Die Entwicklung einer... inneren, tiefen Ruhe.

Und vor einiger Zeit fiel es mir plötzlich auf. Es war schon immer diese fehlende Ruhe. Sie war der elende Schatten, die Störung, der Hinderungsgrund. Und siehe da, kaum achtete ich darauf, erkannte ich es problemlos und sofort. Und sah die Folgen dieser inneren Unruhe und Gehetztheit. Und fing an sie zu beseitigen.

Schon so oft war ich an tollen Orten und kam mit Fotos zurück, die nicht dem gewünschten Ergebnis entsprachen. Wieso geschah das also? Weil ich oft zu "Oh schau mal, da ist etwas tolles, das muss ich fotografieren" war. Ich hatte nicht die innere Ruhe, einen Ort sich entwickeln lassen zu sehen. Wolken die kommen und gehen, Lichtstimmungen... Und fing an, genau das zu tun.




Über Nacht war ich die Ruhe. Setzte mich bei Schneefall an einen Steg, liess die Füsse baumeln, liess die Kamera auf dem Stativ... Und war einfach ruhig. Sagte nichts, tat nichts. Schaute einfach und beobachtete, genoss die Bilder und die Lichtstimmungen. Und auf einmal... Funktionierte es. Auf einmal kamen diese Bilder, die ich wollte aber nie machte.
Sie waren schon die ganze Zeit da, nur war diese eine, kleine Tür zu.

Früher hatte ich Mühe damit, einfach nur einen Ort, einen einzigen Bildausschnitt länger zu betrachten und zu fotografieren. Diese Gehetztheit liess mir keine Ruhe.
Vor einiger Zeit entschied ich mich dazu, wie so oft an einem See zu fotografieren. Und da ich mit der 400D eine zweite Kamera zur Verfügung hatte, nahm ich sie mit, damit ich die auf dem Stativ in Ruhe lassen kann. Nur falls mich wieder so ein "Oah nur etwas weiter nach links/rechts wäre super!"-Gefühl packen würde und mich dazu verleiten möchte, die Kamera auf dem Stativ zu bewegen.
Und es funktionierte, weil es mir erstmals wirklich bewusst auffiel. Das nächste mal war die zweite Kamera zwar mit dabei, aber ich nutzte sie nicht mehr. Nicht aus einem gehetzten Grund heraus.

Darum sehe ich inzwischen das Entwickeln einer tiefen, inneren Ruhe als wichtiger an, als zum Beispiel das blinde Beherrschen von irgendwelchwen Bildbearbeitungstechniken oder das im Kopf Ausrechnen von Verschlusszeiten und Weissderteufel.
Nicht das Equipment macht die guten Fotos, nicht die Kamera die man auf, nicht das Stativ das man darunter hat. Es ist die Ruhe, die in vielen Fällen ausschlaggebend ist.
Selbstverständlich ist eine gewisse Ruhe in manchen Bereichen absolut kontraproduktiv. Eine Schlaftablette an einem Spielfeldrand wäre sicherlich völlig deplatziert. Aber in der Natur absolut essenziell, meiner Meinung nach.


Durch die Ruhe kam der ungehetzte Blick, und damit das Erkennen von Feinheiten, von Details, leichten Veränderungen von Helligkeit und Farben.

Und so verändert man sich selbst. Nebenwirkungen einer Tätigkeit, die -in diesem Fall! - keinen therapeutischen Hintergedanken besitzt.

Und so blicke ich nach vorn, ruhig und zufrieden, und bin gespannt, was sich meinen Augen noch so offenbaren wird, wenn die benötigte innere Reife endlich da ist.


Ich werde sicherlich kaum jemandem unglaubliche Neuigkeiten in puncto Nachbearbeitung der Fotos, der Komnosition, etc. zeigen können, was nicht schon tausendfach irgendwo im Internet zu finden ist... Und bestimmt leichter als diese Worte. Aber wenn ich eins kann, dann sagen wie wichtig diese Ruhe ist. Als ehemals massiv von Unruhe betroffenen Menschen. Möglicherweise hilft es dem einen oder anderen, selbst auch mal in sich zu blicken und zu fragen, ob denn ausreichend Ruhe da ist... Keine einfache Sache in einer solch gehetzten Zeit wie der unseren.

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